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Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus und Rassismus für demokratische Kultur in Hessen e.V.

14. Februar 2025

Jahresrückblick Hessen 2024

Jahresbericht 2024: Regionalstelle Süd des Beratungsnetzwerks Hessen, MBT Nordhessen, MBT Osthessen

Vielen Dank an dieser Stelle an die Recherche-Plattform Rhein-Main Rechtsaußen, die maßgeblich an der Entstehung des Berichts mitgewirkt hat.

AfD und JA

Für die AfD und ihre Jugendorganisation, die Junge Alternative (JA) war das Jahr durch einige Krisen und damit einhergehendem Druck der inneren Konsolidierung geprägt. Dabei wähnte man sich noch zum Jahreswechsel 2023/24 in einem Moment der Stärke. Aus der Landtagswahl 2023 ging die Partei gestärkt hervor und wurde zweitstärkste Kraft. Wie angekündigt wurde der neu gewählte Landtagsabgeordnete Sascha Herr, dessen Verbindungen in das militante Neonazi-Milieu im Wahlkampf öffentlich bekannt wurden, bei der Konstituierung des Landtags im Januar nicht in die AfD-Fraktion aufgenommen. Trotzdem besaß die AfD-Fraktion zu diesem Zeitpunkt noch immer die nötigen Sitze, um ein Prestige-Projekt durchzusetzen, das die Partei im Wahlkampf versprochen hatte: den Corona-Untersuchungsausschuss.

Im März verließ jedoch der Abgeordnete Dirk Gaw Partei und Fraktion. Den Ausschlag sollen die im Januar durch das Rechercheportal Correctiv bekannt gewordenen »Remigrationspläne« auf dem Geheimtreffen in Potsdam gewesen sein. Da Gaw ankündigte, nicht länger für das Lieblings-Projekt seiner ehemaligen Fraktion zur Verfügung zu stehen, besaß die AfD-Fraktion nicht länger das nötige Quorum von einem Fünftel der Sitze im Landtag, um den Untersuchungsausschuss aus eigener Kraft durchzusetzen.1 Zur Durchsetzung des Untersuchungsausschusses setzte die AfD daher auf die Hilfe durch Sascha Herr, mit dem man eigentlich nicht länger inhaltlich zusammenarbeiten wollte.

Auch eine Veranstaltung zum »politischen Aschermittwoch« der AfD in Rödermark (Kreis Offenbach) im Februar endete für die Partei im PR-Desaster und zog ein juristisches Nachspiel nach sich. Hauptredner des Abends war der extrem rechte Bundestagsabgeordnete Matthias Helferich aus Nordrhein-Westfalen, der aufgrund seiner Ausfälle nicht in die AfD-Bundestagsfraktion aufgenommen wurde. In seiner Rede forderte Helferich »millionenfache Remigration« und wurde dafür wegen Volksverhetzung angezeigt. Juristische Schwierigkeiten bekamen jedoch auch die beiden neu gewählten Landtagsabgeordneten Jochen Roos und Maximilian Müger. Die AfD hatte den Refrain des Liedes »L’Amour Toujours« als Tusch in einige Reden eingestreut – eine Anspielung auf die rassistischen Gesänge, die im letzten Jahr vielfach zu der Melodie des Lieds angestimmt wurden. Als Vorsitzender des AfD-Ortsverbands Rödermark war Roos offiziell Veranstalter des Aschermittwochs, Müger führte als Moderator durch den Abend.2

Im Juni wählte die JA ihren Landesvorstand turnusmäßig neu. Das bisherige Führungsduo um Manuel Wurm und Dominik Asch, die beide für ihre Kontakte zu anderen extrem rechten Gruppen und Akteuren bekannt waren, wurden durch die beiden Landtagsabgeordneten Jochen Roos und Maximilian Müger abgelöst. Insbesondere auch ein Bericht der Hessenschau über das Engagement des vormals stellvertretenden Landesvorsitzenden Asch bei der freiwilligen Feuerwehr sowie im Fußball- und Tennisverein sorgte für Zündstoff. Wie die AfD selbst zugab, war der Wechsel an der Spitze des formal unabhängigen Jugendverbands der Versuch, die JA zu disziplinieren und stärker an die Partei zu binden um diese zu kontrollieren.3 Dies muss als Versuch gewertet werden, die Einstufung der JA in Hessen als »gesichert rechtsextrem« durch den Verfassungsschutz zu verhindern.

Im Juli nahm Manuel Wurm zusammen mit anderen Aktiven der JA Hessen an einer Demonstration der Identitären Bewegung (IB) in Wien teil.4 Knapp eine Woche später hielt der österreichische IB-Aktivist Martin Sellner einen Vortrag in Gladenbach (Landkreis Marburg-Biedenkopf). Mit an der Organisation der Veranstaltung beteiligt war der JA-Aktivist Tobias D. aus Bad Nauheim (Landkreis Wetterau).5

Ende August verbreitete sich ein TikTok-Video von Matthias Müger, in dem dieser gegen migrantisierte Menschen hetzte und anschließend mit einem Sturmgewehr auf eine Zielscheibe schoss. Aufgrund des öffentlichen Drucks trat Müger aus der AfD aus und legte auch sein Amt als stellvertretender Landesvorsitzender der JA nieder.6 Der Versuch, die JA über eine engere Anbindung an den Landesvorstand der AfD zu beruhigen, kann dadurch als gescheitert betrachtet werden.

Im Jahr 2024 wurde viel über erstarkende rechte Einstellungen unter Jugendlichen diskutiert. Ausschlaggebend waren dafür auch die Wahlergebnisse der Europawahl, bei der 16-jährige zum ersten Mal mit abstimmen durften7. Die AfD hat im Vergleich zur letzten Europawahl von allen Parteien am meisten Stimmzuwächse unter jungen Menschen bekommen8. Auch in Hessen zeichnet sich ein Bild eines neuen rechten Selbstbewusstseins unter Jugendlichen ab. Immer mehr Schüler*innen bekennen sich klar zur AfD oder fallen mit rechtsextremen, rassistischen, antisemitischen oder queerfeindlichen Äußerungen auf9.

Die Heimat

Das Jahr 2024 war für die Partei Die Heimat (ehemals NPD) in Hessen erneut ein Kampf gegen die Bedeutungslosigkeit. Mit öffentlichen Veranstaltungen hielt sich die Partei im letzten Jahr merklich zurück. Am 13. Januar lud sie zum Neujahrsempfang nach Leun im Lahn-Dill-Kreis. Dabei kam es auch zu Angriffen auf Pressevertreter*innen.10

In ihren traditionellen Hochburgen in Mittelhessen trat Die Heimat zu zwei kommunalen Wahlen an. Bei der Landratswahl im Lahn-Dill-Kreis im Juni erreichte Thassilo Hantusch, Vorsitzende der Jungen Nationalisten Hessen (JN), der Jugendorganisation der Partei, ein Ergebnis von 7,6 Prozent.11 Am selben Tag wurde in Altenstadt im Wetteraukreis auch das Amt der Bürgermeister*in neu gewählt. Der Landesvorsitzende der Partei, Stefan Jagsch erhielt hier 8,1 Prozent der Stimmen.12

Auffällig war, dass die Partei wiederholt versuchte, an das Spektrum der rechten Verschwörungsszene anzuknüpfen. So beteiligten sich kleinere Delegationen des hessischen Landesverbands der Heimat an den sogenannten »Bauernprotesten« am 8. Januar in Wiesbaden, an einer Demonstration in Bündigen (Wetteraukreis) am 17. Februar,13 an einer Demonstration in Aschaffenburg am 14. September14 sowie an einer »Friedenskundgebung« am 28. Dezember in Wiesbaden15. Zudem besuchten Mitglieder der Partei die Vorführung des Films »Nur ein Pieks« des Filmemachers Mario Nieswandt am 5. Oktober in Nidda.16

Ausgezahlt hat sich diese Strategie für die Partei derweil noch nicht. Auch innerhalb der rechten Verschwörungsszene bleibt Die Heimat weitgehend isoliert. Diese orientiert sich viel mehr an der Partei DieBasis sowie der AfD.

Im Februar vereitelte die Polizei einen Angriff auf einen gewalttätigen Überfall auf einen schwulen Mann in Wetzlar. Zivilfahnder nahmen eine Gruppe von fünf Neonazis im Alter zwischen 15 und 19 Jahren fest, als diese unter anderem mit Messern und Pfefferspray bewaffnet auf dem Weg zur Adresse des Mannes waren. Später stellte sich heraus, dass die Täter Mitglieder der JN sind.17

Dritter Weg

Auch aktiv stellte sich, vor allem in Südhessen, 2024 die Neonazi Partei III. Weg dar. Laut Angabe auf ihrer Webseite veranstaltete die Partei einen Neujahrsempfang in Kassel. Auch mehrere Wanderungen am Edersee, im Taunus und an der Lahn sollen stattgefunden haben. In Südhessen, Wetzlar und Herborn soll es zu Flyer-Verteilaktionen gekommen sein. Unabhängig überprüfen lassen sich diese Angaben derzeit nicht.

Für größeres Aufsehen sorgte eine Aktion der Partei in Darmstadt anlässlich des Gedenkens an die sogenannte »Darmstädter Brandnacht« vom 11./12. September 1944. An zwei zentralen Gedenkorten in der Stadt legten Aktive der Partei Kränze ab und entzündeten Kerzen.18

Neue neonazistische Jugendgruppen

Menschen auf einer Demonstration in Fulda mit einem Transparent mit der Aufschrift »Menschenrechte statt rechte Menschen«
Fulda, Naziaufmarsch stoppen (©Walter M. Rammler Fotodesign)

2024 sind bundesweit neue neonazistische Organisationen aufgetreten, die maßgeblich von Jugendlichen getragen werden und u.a. in Bautzen, Leipzig und Magdeburg gegen »Christopher Street Days« mobilisierten. Generell spielen Antifeminismus und damit auch Queerfeindlichkeit eine wichtige Rolle bei der Agitation junger Menschen über Social Media Plattformen wie TikTok und Instagram. Sie funktionieren wie eine Einstiegsdroge in rechte und extrem rechte Bewegungen19. Die bekanntesten neu in Erscheinung getretenen Gruppierungen aus dem Neonazispektrum sind »Jung und stark« und »Deutsche Jugend voran«. Erstere haben auch einen Instagram-Account für Hessen. In Fulda gab es im Oktober Nachahmungsversuche. Aus einem ähnlichen Spektrum sollte »gegen links und Genderwahn« demonstriert werden. Die Initiatoren, die über das Instagram-Profil »Deutscher Jugendbund Hessen« zur Demo aufgerufen hatten, zogen ihre Anmeldung allerdings zurück20. An Stelle dessen schloss sich spontan ein Bündnis aus über 25 Organisationen und Vereinen zusammen und organisierte eine Demonstration gegen Hass und Hetze, an der über 400 Personen teilnahmen21.

Rechte Verschwörungsszene

Auch 2024 fanden wieder vielfältige Aktionen der rechten Verschwörungsszene statt. Schwerpunkt der Aktivitäten ist dabei Südhessen und das Rhein-Main-Gebiet. Während in den letzten Jahren die Corona-Pandemie die Veranstaltungen noch dominierte, wendet sich die Szene nun zunehmend anderen Themen zu, wie beispielsweise der Frage von Krieg und Frieden, einem angeblichen »Klimaschwindel« und queerfeindlichen Positionen. Zu Beginn des Jahres standen vor allem die sogenannten »Bauernproteste« im Zentrum der Aktivitäten. Die Szene zerfasert zunehmend, wird unübersichtlich und versucht über eine immense Zahl an Veranstaltungen, Gruppennamen und Labels eine gewisse Größe und Breite zu simulieren. Allein in Frankfurt finden wöchentliche Versammlungen statt. In Wahrheit sind die vielfältigen Veranstaltungen der Szene jedoch recht klein und auch über Monate hinweg geplante »Großveranstaltungen« erreichen kaum mehr als wenige hunderte Personen und selten über das eigene Kernklientel hinaus. Im Zentrum der Aktivitäten stehen häufig die verschwörungsideologische Kleinpartei DieBasis sowie die »Klartext-Bürgerzeitung« um den Aktivisten Christoph B. Die Szene darf dabei keineswegs isoliert betrachtet werden. Zunehmend gibt es starke Überschneidungen zum Reichsbürger-Milieu, zur AfD oder anderen (extrem) rechten Gruppen.

Am 1. April versuchte das Aktionsbündnis Bergstraße mit einer als »Ostermarsch« bezeichnete Demonstration in Heppenheim in Südhessen an die gleichnamigen Versammlungen der Friedensbewegung anzuknüpfen. Auffällig dabei war die starke Beteiligung der AfD an der Demonstration.22

Am 27. April23 und 25. Mai veranstaltete die rechte Verschwörungsszene zwei »Großdemonstrationen« in Frankfurt. Trotz wochenlanger bundesweiter Mobilisierungen nahmen an den Demonstrationen jeweils nur etwa 500 Personen teil. Für die Szene kann dies kaum als Erfolg gewertet werden, zumal die Demonstration am 25. Mai bereits nach wenigen Metern von antifaschistischen Blockaden gestoppt wurde.24 Die beiden Versammlungen zeigten, wie wenig es der rechten Verschwörungsszene noch gelingt, über die eigene Kern-Anhänger*innenschaft hinaus zu mobilisieren.

Im Herbst versuchte sich die Szene erneut an einem »Groß-Event« im Rhein-Main-Gebiet. Für den 3. Oktober mobilisierten die Partei DieBasis und die Klartext-Zeitung zu einer Friedensdemonstration vor die US-Air-Base in Wiesbaden. Dem Aufruf folgten lediglich etwa 400 Personen und dies trotz prominenter Redner*innen. So sprach unter anderem der früher Linkspartei-Politiker Diether Dehm.25

Für größeres Aufsehen sorgte die geplante Vorführung des Films »Nur ein Pieks« des Filmemachers Mario Nieswandt, der für das zwischenzeitlich verbotene Compact-Magazin tätig war. Der Film verbreitet Verschwörungsnarrative und Falschinformation zu den angeblichen Folgen der Corona-Impfung. Der Film sollte am 5. Oktober in einem Kino in Nidda (Wetteraukreis) unter Anwesenheit des Regisseurs gezeigt werden. Für die Organisation zeigte sich der Reichsbürger Bruno R. verantwortlich.26 Nachdem die Veranstaltung im Vorfeld öffentlich bekannt wurde, kündigte der Kinobetreiber die Räumlichkeiten. Letztlich wurde der Film in einem Bürgerhaus der Stadt Nidda gezeigt. An der Veranstaltung nahmen auch prominente Neonazis der Partei Die Heimat (früher NPD) teil.27 28

Für den 3. Oktober mobilisierten die Partei DieBasis und die Klartext-Zeitung zu einer Friedensdemonstration vor die US-Air-Base in Wiesbaden. Dem Aufruf folgten lediglich etwa 400 Personen und dies trotz prominenter Redner*innen. So sprach unter anderem der früher Linkspartei-Politiker Diether Dehm. Am 28. Dezember versuchten die Veranstalter*innen das Event fortzusetzen. Vor Beginn der Versammlung fanden unterschiedliche Autokorsos statt, die in mehreren Städten im Rhein-Main-Gebiet gestartet waren und schließlich bei der Zentralkundgebung in Wiesbaden endeten. Trotz dieses erheblichen organisatorischen Aufwands nahmen nur etwa 250 Personen an der Kundgebung teil. Wirklich prominente Redner*innen konnten die Organisator*innen dieses Mal nicht gewinnen. Auch einige Vertreter*innen der neofaschistischen Partei Die Heimat (ehemals NPD) die beiden hessischen Landesvorstände Stefan Jagsch und Daniel Lachmann befanden sich unter den Teilnehmenden.29

Reichsbürger

Eine neue Dynamik entwickelte sich dagegen in der Reichsbürgerszene in Hessen. Die Szene tritt immer öfter und selbstbewusster in Erscheinung. So finden regelmäßig Aufzüge und Vorträge statt und es etablieren sich Treffpunkte. Ein Schwerpunkt der Aktivitäten bildete dabei Südhessen.

Schon seit Oktober 2023 versammelten sich in einem Waldstück an der B449 bei Darmstadt jeden Sonntag Angehörige der Szene und führten sogenannte »stille Proteste« durch. Die an unterschiedlichen Orten im ganzen Bundesgebiet stattfindende Aktionsform ist eng mit dem Netzwerk »Das große Treffen der 25+1 Bundesstaaten« um den Reichsbürger Frank Meier aus Brandenburg verknüpft. Für die Organisation der Darmstädter Proteste zeigten sich zwei Männer aus Südhessen verantwortlich.30 Nach Protesten aus der Zivilgesellschaft fanden ab Herbst keine Proteste der Reichsbürgerszene in Darmstadt mehr statt.

Für größere Aufmerksamkeit sorgte ein martialisch beworbenes »Straßenkampf«-Seminar, das am 27. und 28. April in Lützelbach-Rimhorn (Odenwaldkreis) stattfand. Geleitet wurde dieses von dem bekannten Reichsbürger Frank Müller aus Ludwigshafen (Rheinland-Pfalz). Organisiert wurde das zweitägige Seminar von der Aktivistin Gabriele B. aus Groß-Umstadt (Landkreis Darmstadt-Dieburg), die fest in der Reichsbürger- und rechten Verschwörungsszene verwurzelt ist.31 Nach dem öffentlichen Bekanntwerden der Veranstaltung kündigte die Gemeinde Lützelbach den Organisato*innen die Halle und ein geplanter Folgetermin konnte nicht stattfinden.

Am 20. Oktober führte die Reichsbürger-Organisation Verband Deutscher Wahlkommissionen (VDWK) im Herborner Stadtteil Seelbach (Lahn-Dill-Kreis) einen »Zukunftskongress« durch. Hauptreferent der Veranstaltung war Matthes Haug aus Baden-Württemberg. Er ist Verfasser des Buches »Das Deutsche Reich 1871 bis heute«, in dem er die Ansicht vertritt, dass die Bundesrepublik nicht existiere und das Deutsche Reich fortbestehe. Im Jahr 2022 nahm die Bundesanwaltschaft Ermittlungen gegen Haug auf, da er an mindestens einem internen Treffen der *Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß* teilgenommen und dort einen Vortrag gehalten hatte.32

Für den 9. November mobilisierte der VDKW zu einem Vortrag mit Klaus Maurer im Raum Kassel. Maurer ist ebenfalls ein bekannter Buchautor der Reichsbürgerszene. Von Beruf ist Maurer Psychiater und arbeitete jahrelang als Gerichtsgutachter. Allein in Hessen begleitete dieser während seines Berufslebens 1.968 Verfahren als Gerichtssachverständiger. Letztlich fand die Veranstaltung in Staufenberg-Spiekershausen gleich hinter der hessisch-niedersächsischen Grenze statt. Organisiert wurde die Veranstaltung hauptsächlich von Dirk B. aus Niestetal (Kreis Kassel).33 Nur einen Tag später sollte Maurer auf einem privaten Anwesen in Idstein (Rheingau-Taunus-Kreis) referieren. Eingeladen hatte auch hier der VDWK. Geplant war der Vortragsabend auf dem »Erlebnishof« von Herbert S. Seit 2022 fanden auf dem ehemaligen Bauernhof immer wieder Veranstaltungen der Reichsbürger- und rechten Verschwörungsszene statt, die von S. organisiert wurden.34 Nach dem der geplante Vortrag im Vorfeld bekannt und Gegenprotest angekündigt wurde, sagten die Veranstalter*innen das Treffen jedoch kurzfristig ab.

Anfang Dezember geriet die für den 25. Januar 2025 geplante Bürgermeister*innenwahl in Tann (Kreis Fulda) in den überregionalen Fokus. Mit Reinhard Hofmann tritt hier ein Kandidat an, der dem Reichsbürger-Milieu zugeordnet wird.35

Rechte Esoterik

Auch im Themengebiet der rechten Esoterik war im Jahr 2024 in Hessen einiges los. So zum Beispiel im Rahmen der Germanischen Neuen Medizin (GNM). Die GNM ist eine von Ryke Geerd Hamer entwickelte pseudomedizinische und unwissenschaftliche Form der Heilslehre. Neben dem haltlosen Versprechen der Heilung schwerster wie auch tödlicher Krankheiten, durch vor allem innere Konfliktklärungen, liegen in den Lehren Hamers sozialdarwinistisch und biologistische Inhalte vor. Hamer selbst vertrat verschwörungsideologische und antisemitische Positionen und leugnete den Holocaust. Seine Ansätze und Inhalte finden im rechten Spektrum starken Anklang, die Preise zur Teilnahme an Seminaren sind nicht gering. Im April fand in Wölfersheim im Wetteraukreis ein eintägiges Basis-Seminar zur GNM statt, im Mai eine Veranstaltung zur Einführung in die GNM in Alzenau (Aschaffenburg), also kurz hinter der südost-hessischen Grenze. Die Ehefrau des Mai-Referenten hielt am folgenden Tag in denselben Räumlichkeiten eine Veranstaltung ab, welche über Kanäle der rechten Szene und im Reichsbürger-Spektrum beworben wurde. Inhaltlich fokussierte die Referentin, die sich selbst als Medium bezeichnet, auf den Themenbereich Exorzismus. Ebenfalls im Mai wurden die »5 biologischen Naturgesetze«, die die Grundlage der GNM bilden, im Rahmen des »3. Forums für ganzheitliche Heilmethoden« in Bad Schwalbach (Rheingau-Taunus-Kreis) vorgestellt.36 Es folgte ein zweitägiges Wochenends-Seminar in Aschaffenburg-Nilkheim in Räumlichkeiten der Firma »Rhein-Main-Solutions«. Gedacht war hierfür vor einer kurzfristigen Umplanung zunächst ein Raum in Mosbach (Kreis Darmstadt-Dieburg).37

Im Juli referierte Maria Maksheeva – eine Influencerin der Anastasia-Bewegung – in Schlierbach (Landkreis Darmstadt-Dieburg). Die Anastasia-Bewegung ist eine rechtsesoterische Siedlungsbewegung, die antisemitisch, rassistisch, völkisch, queerfeindlich und antidemokratisch ausgerichtet ist. Das Bundesamt für Verfassungsschutz stufte sie bereits 2023 als rechtsextremen Verdachtsfall ein.38 Die Veranstaltung in Schlierbach war Teil einer Deutschlandtour, die Maksheeva vornahm um für die Bewegung zu rekrutieren und Menschen für »Lehrjahre« in russischen Siedlungen zu begeistern. Die zunächst in Mosbach geplante Zusammenkunft musste kurzfristig in private Räumlichkeiten in Schlierbach verlegt werden, da die Gemeinde den Veranstaltenden die Nutzung der Räumlichkeiten aufkündigte, sobald sie vom Charakter der Zusammenkunft erfuhr.39

Rechtsterrorismus-Prozesse

Auch 2024 fanden in Hessen wieder eine Reihe von Rechtsterrorismus-Prozessen statt. Der prominenteste ist hier sicherlich das Verfahren gegen die neun Hauptangeklagten der Reichsbürger-Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß vor dem Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt. Während in Frankfurt der Prozess gegen die Führungsriege der Gruppe läuft, sind in Stuttgart deren »militärische Arm« und in München weitere Mitglieder, u.a. Ruth L., die aus Heppenheim (Landkreis Bergstraße) stammt, angeklagt. Der in drei Verfahren aufgeteilte Komplex stellt das größte Anti-Terrorverfahren in der Geschichte der Bundesrepublik dar. Das am 21. Mai in Frankfurt gestartete Verfahren wird sich voraussichtliche über mehrere Jahre hinziehen. Seit dem Prozessauftakt verfolgen regelmäßig Personen aus der Reichsbürger- und rechten Verschwörungsszene die Prozesstage. Immer wieder kam es zu öffentlichen Sympathie-Bekundungen mit den Angeklagten. So zogen am 23. Juli anlässlich der Geburtstage der beiden Angeklagten Michael F. und Peter W. 20 Anhänger*innen der Reuß-Gruppe vor das Gefängnis in Weiterstadt (Landkreis Darmstadt-Dieburg) in dem die beiden inhaftiert sind, um ihre Solidarität zu bekunden. Am 15. September 2024 fand ein ähnlicher Aufmarsch zum Geburtstag der Angeklagten Johanna F. vor dem Gefängnis in Frankfurt-Preungesheim statt. Am 8. Dezember »feierten« Anhänger*innen dort den Geburtstag von Prinz Reuß selbst.

Demonstration anlässlich des Jahrestages des rassischen Anschlags in Hanau am 19. Februar 2020
Am 19. Februar 2025 jährt sich der rassistische Anschlag von Hanau zum fünften Mal (©Protestfotografie.Frankfurt)

In einem anderen Verfahren wurde deutlich schneller ein Urteil gefällt. Der Prozess gegen den 62-jährigen Wilhelm P. aus Gorxheimertal (Landkreis Bergstraße) fand vom 30. August bis zum 25. November vor dem OLG Frankfurt statt. P. war Mitglied der Reichsbürger-Terrorgruppe »Vereinte Patrioten«, welche unter anderem die Entführung von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) geplant hatte und über einen großflächigen Stromausfall im gesamten Bundesgebiet einen Systemsturz herbeiführen wollte. Die Garage von P. hätte der Gruppe als Lager für Waffen und Sprengstoff dienen sollen. Zudem war P. auserkoren, mit einer Delegation nach Russland zu reisen um nach dem Systemsturz die neue Regierung durch den russischen Staat anerkennen zu lassen. Das OLG verurteile P. zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten.

Anfang September erschien Hans-Gerd R., der Vater des Attentäters von Hanau, nicht zu seinem Verfahren, in dem drei Anklagen und sechs Strafbefehle verhandelt werden sollten. Hierzu gehörte unter anderem Straftatbestände wie Volksverhetzung und Verstöße gegen das Gewaltschutzgesetz. An einem weiteren Termin am Amtsgericht Hanau Ende September, zu dem er vorgeführt werden musste und an dem er in Protesthaltung liegend teilnahm, wurde er zu einer Geldstrafe von 21.600 Euro verurteilt. Eine Rechtskräftigkeit besteht bisher noch nicht. Ankündigung zur Revision kam sowohl von Seiten der Nebenklägerin, die Angehörige einer der beim Anschlag getöteten Personen ist, als auch vom Verteidiger des Angeklagten. Der bereits mehrfach verurteilte R. näherte sich trotz Annährungsverbot der Mutter eines Anschlagopfer, bedrohte Hinterbliebene und Opfer des Anschlags und äußerte rassistische Beleidigungen gegenüber Demonstrationsteilnehmer*innen.40 41

Ende September fällt das Landgericht Frankfurt das Urteil über Bombensammler Marcel L. aus dem Frankfurter Stadtteil Bergen-Enkheim. Wegen Verstößen gegen das Waffen-, Sprengstoff- und Kriegswaffenkontrollgesetz wurde der 27-Jährige zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Die Anklage hatte L. aufgrund seiner Äußerungen in Chatgruppen als »gesichert rechtsradikal« eingestuft. Dort artikulierte L. zusammen mit Freunden rassistische, sexistische, antisemitische und queerfeindliche Gewaltfantasien und fabulierte immer wieder von einem »Tag X«. Letztendlich wurden diese Aspekte durch das Gericht nicht ausreichend gewürdigt und die Vorstellung eines »Tag X« als »letztlich leeres Gerede« eingestuft.

Vor dem Landgericht Limburg läuft aktuell der Prozess gegen einen 19-jährigen Neonazi aus Waldbrunn (Limburg-Weilburg), der einen gewaltsamen Umsturz geplant habe. Sein Ziel sei die Bildung einer völkischen »Volksgemeinschaft« unter Ausschluss von Jüdinnen*Juden und Migrant*innen gewesen. Eine »Schutzstaffel«, die der Beschuldigte aufbauen wollte, hätte für den Umsturz Menschen töten sollen. Der Prozess findet wegen des Alters des Angeklagten unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

Antisemitismus

Auch in der Arbeit der Mobilen Beratungsteams war der steigende Antisemitismus nach dem 7. Oktober 2023 deutlich ersichtlich und zog sich weiter durch das Jahr 2024. Um dem Thema gerecht zu werden verweisen wir an dieser Stelle auf den zur Mitte des Jahres erscheinenden Bericht unserer Kolleg*innen von der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Hessen (RIAS), die eine große Expertise hinsichtlich des Themengebietes und dessen Analyse aufweisen, im Kontakt zu betroffenen Personen stehen und somit umfänglich sprachfähig hinsichtlich der Entwicklungen der letzten Jahre sind: https://rias-hessen.de/publikationen/rias-hessen/

Proteste Anfang des Jahres und neue Bündnisse

Wie in ganz Deutschland, gab es auch in Hessen zum Jahresanfang riesige Proteste, nachdem die Recherche-Plattform correctiv über ein Treffen in Potsdam berichtet hatte. Wochenlang demonstrierten Menschen in Groß- und Kleinstädten, um ihrer Befürchtung Ausdruck zu verleihen, dass die in Potsdam diskutierten Inhalte Realpolitik werden könnten. Die Demonstrationen dürften zu den Größten gehört haben, die die Bundesrepublik Deutschland je gesehen haben. Allerdings schien die Botschaft nicht wirklich bis zur Bundesregierung durchgedrungen zu sein, denn es folgten keine Maßnahmen, Gesetzesänderungen oder Sondervermögen.

In der Folge gründeten sich in ganz Hessen, sowohl in Städten als auch auf dem Land, neue Bündnisse für eine offene Gesellschaft bzw. allgemein gegen rechts. Dies stellte einen neuen Arbeitsschwerpunkt für die mobilen Beratungsteams in Hessen dar, indem die Bündnisse bei Gründung, strukturellem Aufbau und inhaltlicher Ausrichtung beraten wurden.


Fußnoten

  1. https://www.hessenschau.de/politik/landtag/afd-im-landtag-verliert-abgeordneten-polizeibeamter-dirk-gaw-tritt-aus-v3,afd-landtag-104.html

  2. https://www.hessenschau.de/politik/politische-aschermittwoch-der-afd-in-roedermark-hat-juristisches-nachspiel-v1,anzeige-aschermittwoch-roedermark-100.html

  3. https://www.hessenschau.de/politik/neuer-landesvorstand-afd-will-junge-alternative-beruhigen-v1,neuer-landesvorstand-junge-alternative-100.html

  4. https://www.dokunetzwerk.org/2024/07/20/neofaschistische-demonstration-in-wien/

  5. https://www.dokunetzwerk.org/2024/07/29/vortrag-von-martin-sellner-im-marburger-umland/

  6. https://www.hessenschau.de/politik/nach-sturmgewehr-auftritt-afd-politiker-mueger-tritt-aus-partei-aus-v1,mueger-ruecktritt-100.html

  7. https://www.hessenschau.de/politik/europawahl/europawahl-2024-warum-junge-menschen-afd-gewaehlt-und-gruene-abgestraft-haben-v1,wahlverhalten-jungwaehler-100.html

  8. https://www.hessenschau.de/tv-sendung/junge-waehler—welche-rolle-spielten-tiktok-und-co-bei-der-europawahl,video-197906.html

  9. https://www.fr.de/rhein-main/landespolitik/rechtsextreme-vorfaelle-an-schulen-in-hessen-verdreifacht-93361078.html

  10. https://recherche-nord.com/gallery/2024.01.13.html

  11. https://www.hessenschau.de/politik/wahlen/landratswahl-im-lahn-dill-kreis-carsten-braun-und-frank-inderthal-gehen-in-stichwahl-v1,stichwahl-lahn-dill-kreis-100.html

  12. https://www.hessenschau.de/politik/so-liefen-die-21-buergermeisterwahlen-in-hessen—v21,buergermeisterwahlen-130.html

  13. https://www.dokunetzwerk.org/2024/02/17/rechte-demonstration-in-buedingen/

  14. https://www.flickr.com/photos/156632786@N03/albums/72177720320341846

  15. https://www.dokunetzwerk.org/2024/12/28/friedens-kundgebung-der-rechten-verschwoerungsszene-in-wiesbaden/ und https://rheinmain-rechtsaussen.org/2025/01/04/rechte-versuche-eine-friedensbewegung-aufzustellen/

  16. https://rheinmain-rechtsaussen.org/2024/10/24/neue-dynamik-in-der-reichsbuergerszene/

  17. https://www.fr.de/rhein-main/landespolitik/hessen-neonazis-wollten-ihr-opfer-fesseln-und-bedrohen-92864631.html

  18. https://www.echo-online.de/lokales/suedhessen/staatsfeinde-in-suedhessen-verfassungsschutz-schaut-hin-3978891

  19. https://taz.de/Expert_in-ueber-Hass-gegen-Frauen/!5909440/

  20. https://www.fuldaerzeitung.de/fulda/fulda-demonstration-gegen-rechtsextremismus-samstag-stellt-sich-quer-deutscher-jugendbund-93372316.html

  21. https://osthessen-news.de/n11767690/starkes-zeichen-gegen-hass-und-intoleranz-naziaufmarsch-stoppen.html

  22. https://www.dokunetzwerk.org/2024/04/01/rechter-ostermarsch-in-heppenheim/

  23. https://www.dokunetzwerk.org/2024/04/27/verschwoerungsideologische-veranstaltung-in-frankfurt/

  24. https://www.dokunetzwerk.org/2024/05/25/rechte-grossdemonstration-in-frankfurt/

  25. https://www.dokunetzwerk.org/2024/10/03/friedensdemo-der-rechten-verschwoerungsszene-in-wiesbaden/

  26. https://rheinmain-rechtsaussen.org/2024/09/30/filmvorfuehrung-der-rechten-verschwoerungsszene-in-nidda-geplant/

  27. https://www.fr.de/rhein-main/wetterau/umstrittene-vorfuehrung-93338368.html

  28. https://rheinmain-rechtsaussen.org/2024/10/24/neue-dynamik-in-der-reichsbuergerszene/

  29. https://www.dokunetzwerk.org/2024/12/28/friedens-kundgebung-der-rechten-verschwoerungsszene-in-wiesbaden/ und https://rheinmain-rechtsaussen.org/2025/01/04/rechte-versuche-eine-friedensbewegung-aufzustellen/

  30. https://rheinmain-rechtsaussen.org/2024/04/21/die-reichsbuerger-proteste-in-darmstadt/

  31. https://rheinmain-rechtsaussen.org/2024/05/08/reichsbuerger-trainieren-strassenkampf-im-odenwald/

  32. https://rheinmain-rechtsaussen.org/2024/10/24/neue-dynamik-in-der-reichsbuergerszene/

  33. https://www.hessenschau.de/gesellschaft/vortrag-ueber-die-brd-gmbh-reichsbuerger-werben-bei-unternehmer-um-nachwuchs-v2,reichsbuerger-nordhessen-100.html

  34. https://rheinmain-rechtsaussen.org/2024/10/24/neue-dynamik-in-der-reichsbuergerszene/

  35. https://www.tagesschau.de/inland/regional/hessen/hr-reichsbuerger-will-rathaus-buergermeisterwahl-in-tann-erobern-100.html

  36. https://rheinmain-rechtsaussen.org/2024/04/30/antisemitische-heilslehren-im-trend/

  37. https://rheinmain-rechtsaussen.org/2024/07/21/anastasia-propagandistin-auf-deutschlandtour-in-schaafheim-zu-gast/

  38. https://www.sueddeutsche.de/politik/siedlungsprojekte-anastasia-bewegung-bundesweit-rechtsextremer-verdachtsfall-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-230608-99-986005

  39. https://rheinmain-rechtsaussen.org/2024/07/21/anastasia-propagandistin-auf-deutschlandtour-in-schaafheim-zu-gast/

  40. Lotta (2025): Kurzmeldungen. Vor Gericht (Hessen). Geld- und Haftstrafen, in: Lotta. Antifaschistische Zeitung aus NRW, Rheinland-Pfalz und Hessen. Nr.97, Winter 2024/205. Oberhausen. S.40.

  41. Lotta (2024): Kurzmeldungen. Vor Gericht (Hessen). Vater des Hanau-Attentäters erneut vor Gericht. Nr.96, Herbst 2024. Oberhausen. S.45.

Ein Schwarzweiß-Bild einer Demonstration in Fulda, Spaziergang für Demokratie. Zu sehen ist ein großes Transparent mit der Aufschrift »Nie wieder ist jetzt!« (©Walter M. Rammler Fotodesign)
Fulda, Spaziergang für Demokratie (©Walter M. Rammler Fotodesign)